Briefe, Gedichte und Sprüche 1997

Heft-Titelgrafik: Händereichen
Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andere, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf um Stuf heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen.
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegensenden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlauf dann, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hermann Hesse (1877-1962)
aus: Sämtliche Werke in 20 Bänden und 1 Registerband,
Herausgeber Volker Michels, ISBN 3-518-41100-4,
Copyright © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
2001-2007
Im Oktober 1997
Liebe Freunde unserer Blindenfreizeiten!
Im Dank komme ich mit vielen wieder aus unseren Freizeiten im Winter, Sommer und
Herbst.
Mit großer Freude sind wir unterwegs in der Natur und leben in diesem
Miteinander unserer Gemeinschaft auf.
Spuren ...
Froh sind wir, wenn wir sie finden in den Schneefeldern im zu weichen Firn oder
gefroren noch am Morgen. Oder die Spuren in den Felswänden - steil,
gesichert - und dabei sicher im Geführtwerden und Führen durch die
Kameraden uns zur Seite. Oder in den Dünen am Meeresstrand auf der Insel
Texel durch beste asphaltierte Pfade bei den Tandemfreizeiten. Spuren durch die
Technik, uns geboten und im ganz menschlichen Miteinander zum Gelingen und
Erreichen unserer Ziele.
Im Brief voriges Jahr hab ich mit dem Fragen und Suchen geschlossen, wie jeder
von uns beitragen kann, dass das Klima unserer Erde, die Atmosphäre unserer
Welt menschlicher werde.
Es ist meine Freude, Spuren dahin zu sehen, zu hören, zu finden, zu
erleben.
Spuren: Da ist eine Frau mit 81 Jahren, durchscheinend, ja
vornehm in ihrer Art wie sie sich gibt im Fernsehen. Mit 18 Jahren ist sie mit
einem jungen Offizier von Wien nach China gekommen und bis jetzt dort gewesen.
Bei all dem politischen Trubel hat ihr Mann alles verloren, und sie wurde
Bauersfrau - 5 Kinder waren ihr Geschenk und ihr Auftrag. Das chinesische
Fernsehen drehte einen Film über ihr Leben, der von einer Milliarde (!)
Menschen in China gesehen wurde. "Die bekannteste Österreicherin"
sagt man dort und "Was ist das für ein Land, in dem es solche
wundervollen Menschen gibt".
Und da sind Diana und Mutter Theresa, Frère Roger Schutz, der die Jugend
erreicht. Menschen mit Zuwendung, die angenommen wird, Liebenswürdigkeit,
die glaubhaft ist, Herzlichkeit, die überzeugt. "Engel" sogar
genannt für Kranke und Sterbende, für schwerste Menschennot.
Einzelne Menschen, die die Erdatmosphäre vermenschlichen zum Allerbesten -
heute und morgen - durch die Technik erhalten sie eine beinahe unglaubliche,
erfahrbare Reichweite. Wie weit unsere Zuneigung, Zuwendung,
Liebenswürdigkeit, Herzlichkeit, ... reicht, das weiß EINER allein.
Wir erleben sie freudestrahlend von unseren Freunden der Blindenfreizeiten immer
neu!
Da danken wir von ganzem Herzen für Sr.
Christiane Ostrowsky, der Mitbegründerin und 20 Jahre treuen Mitarbeiterin
unserer Freizeiten. Innerhalb von ein paar Wochen ist sie uns vorausgegangen den
Weg zum bleibenden Leben. Im Dank mit ihr die letzten Tage war es hell für
die erlebten Augenblicke der Freundschaft mit vielen in unserer Gemeinschaft. Im
Dank ist Bleibendes.
Im Schauen dieser Lebensspuren wird hell mein Herz und hab ich Vertrauen in
unsere Zukunft!
Euer P. Wilfried

Aus gegebener Veranlassung haben wir unsere Organisation geändert, um die
Eigenständigkeit der Blindenfreizeiten zu wahren und diese
kostengünstig durchführen zu können.
Unsere Freizeiten laufen daher nicht mehr über das Linzer Büro,
sondern über "Blindenfreizeiten P.
Lutz", Imst und bleiben nach wie vor mit der Blindenpastoral
Blindenseelsorge verbunden.
Ein herzliches Danke allen, die bei unseren Freizeiten
mitgeholfen haben und mithelfen und da besonders unserem Rudi, der uns immer
wieder ermutigte, Wege zu suchen, um diese Wochen weiterführen zu
können.
Auf eine gute Zusammenarbeit freut sich
Eure Christl

Es gibt Momente, da wünsche ich, ich wäre Sonnenstrahlen für
dich,
Sonnenstrahlen, die deine Hände wärmen und deine Tränen
trocknen,
Sonnenstrahlen, die dich an der Nase kitzeln und dich zum Lachen bringen,
Sonnenstrahlen, die deine dunklen Winkel in deinem Innern erleuchten,
deinen Alltag in helles Licht tauchen,
die Eisberge um dich zum Schmelzen bringen.
Dir und mir wünsche ich Augen
die die Lichter und Signale in unseren Dunkelheiten erkennen
Ohren
die die Rufe und Erkenntnisse in unseren Betäubungen vernehmen
dir und mir eine Seele
die all das in sich aufnimmt und annimmt
und eine Sprache
die in ihrer Ehrlichkeit uns aus unserer Stummheit herausführt
und uns aussprechen läßt
was uns gefangenhält
Geh deinen Weg wie ich den meinen suche
zu dem Ziel, Mensch zu werden.
Unterwegs begegnen wir der Wahrheit, der Freiheit und uns selbst.
Unterwegs wächst und reift eine Weggemeinschaft,
die uns befähigt,
anderen Rastplatz zu sein und Wegweiser.
Du und ich gehen diesen Weg.
Irische Segenswünsche
(siehe
Texte der Lieder, die wir
oft singen)
Diese Wünsche haben wir bei einigen Wochen als Lied gesungen, und wir
möchten sie Euch allen auf Euren Weg mitgeben.
Wir sind viel in der Natur unterwegs - im folgenden Gebet, das bei vielen
Stämmen Nordamerikas gesprochen wurde, lange bevor der weiße Mann
kam, findet sich vielleicht der eine oder die andere auch selber.
Großes Geheimnis,
dessen Stimme ich in den Winden vernehme,
dessen Atem der Welt Leben gibt,
höre mich!
Ich komme zu dir als eines deiner vielen Kinder.
Ich brauche deine Kraft und deine
Weisheit,
gib, daß ich in Schönheit wandle;
gib, daß meine Augen immer den purpurnen Sonnenuntergang schauen;
gib, daß meine Hände die Dinge achten, die du gemacht hast und
gib, daß meine Ohren deine Stimme vernehmen.
Laß mich weise sein,
so daß ich die Dinge erkenne, die du mein Volk gelehrt hast,
die Lehren, die du in jedem Stein und Blatt verborgen hast.
Laß mich stark sein,
nicht um stärker zu sein als meine Brüder,
sondern um Stärke für mich selbst zu haben.
Laß mich immer bereit sein, dir in die Augen zu schauen, so
daß
wenn das Leben vergeht wie der verblassende Sonnenuntergang,
meine Seele zu dir kommt ohne Beschämung.
Von Zeit zu Zeit
Was ich dir wünsch:
nichts Unmögliches
nichts Unerreichbares
nichts Unglaubliches
nicht den Himmel auf Erden
nicht ein Jahr ohne trübe Tage
nicht den hellen Tag ohne die finstere Nacht
nicht den Schritt nach vorn ohne den Schritt zurück
ABER ich wünsch dir:
von Zeit zu Zeit das Gefühl wirklich glücklich zu sein
von Zeit zu Zeit die große Liebe zu spüren
von Zeit zu Zeit das Gefühl für diese Welt irrsinnig wichtig zu
sein
von Zeit zu Zeit den Schritt über die Grenzen
hinaus
den Schritt über alle Grenzen hinweg
um über den kleinen eigenen Horizont zu
sehen
von Zeit zu Zeit diese Welt in all ihrer Schönheit zu
erfassen
ein Gesicht voller Lachen
Hände voller Freude um sie hinauszutragen in diese Welt
von Zeit zu Zeit Licht sein in der
Finsternis
Fels sein in der Brandung
Friede sein mitten im Streit
und immer
ein Mensch zu bleiben - ganz einfach Mensch
einer von vielen - und doch einzigartig (für mich)
das wünsch ich dir!